8. Oktober 2017 In Kunst & Kultur By OStr. Mag. Ruth ERLACH

Gänsehaut

Gänsehaut. Nicht wegen der Kälte, obwohl es gefühlte 7 Grad hat. Es ist nicht einmal halb und ich bin schon vor der Schule. Unheimlich. Um 7 Uhr 44 fährt der zweistöckige Bus los. Natürlich sitzen wir oben. Wir kommen uns vor, als ob wir allem und jedem überlegen wären. Als ob uns die Welt zu Füße läge. Schon wird Snapchat aufgemacht und Bilder aufgenommen. „Was schreibst du als Caption?“ „Auf nach Mauthausen…..hahahahaha Nein das hab ich nicht so gemeint..“ Gänsehaut.

Die Fahrt dauert zweieinhalb, vielleicht drei Stunden. Zurücklehnen und die Aussicht genießen. Große Felder, grüne Wiesen und Kühe. Manche sind bereits eingeschlafen. Wir haben’s gut. Wir fahren nach Mauthausen, um es zu besichtigen. Vor langer Zeit wurde man in unmenschlichsten Verhältnissen verschleppt. Weil man anders war. Weil man ein Sozialist oder ein Kommunist war. Jude oder Zeuge Jehovas. Roma oder Sinti, homosexuell oder durchaus intellektuell. Weil Hitler es so wollte.

Wir fahren gerade an einem Schild vorbei. Mauthausen – 7km. Wir sind gleich da. Im Bus herrschen gemischte Gefühle. Manche sind aufgeregt, andere lachen und dritte schlafen gar. Niemand ahnt was uns erwartet. Es ist 9.48. Noch vier Kilometer.

Wir schauen alle gespannt aus den Fenstern. Die Häuser werden immer weniger. Der schwarze Humor auch. Wir fahren einen Hügel hoch. Man sieht Gänse vorbeispazieren. Und ein großes, flaches Gebäude mit großen Schornsteinen. Wir sind endlich da. Der Busfahrer parkt und wir steigen aus.

Als erstes sahen wir einen Film über die NS Zeit, in dem die Verhältnisse und das damalige KZ Leben sowie die Strafverfolgung der Nationalsozialisten geschildert wurden. Danach wurden wir in zwei Gruppen aufgeteilt und man teilte uns unsere Führung zu.

Ramona Bauer war ihr Name. Sie erklärte uns alles und machte mit uns den Rundgang. Zuerst kletterten wir die Mauer hoch. Die Aussicht machte jeden sprachlos. Später haben wir uns den Block angeschaut, wo die Häftlinge frisiert und nummeriert wurden. Es war nämlich so, dass man als Häftling auf dem Bahnhof Mauthausen abgesetzt wurde. Dann musste man den langen Weg zum Lager zu Fuß überwinden, was auch seine Zeit in Anspruch nahm. Im KZ angekommen, wurden die Köpfe rasiert und die Personen nummeriert. Wer den Befehlen nicht gehorchte, wurde durch Gewalt zum Gehorsam gezwungen. Anschließend wurde man in Blöcke eingeteilt. Der „Friseur Block“ war mit Graffitis und Inschriften übersät, was man freilich als respektlos bezeichnen könnte.

Der nächste Block bestand aus mehreren Miniräumen, die zwar klein waren, aber sehr elegant wirkten. Es stellte sich heraus, dass es sich dabei um Bordelle handelt. Frauen aus anderen KZ-Lagern wurden hierhin verlegt und man versprach ihnen die Freiheit, wenn sie 6 Monate lang in diesen Bordells tätig waren. Das Versprechen wurde natürlich nicht gehalten.

Nun befanden wir uns in einem Block, wo die Häftlinge untergebracht waren. Jeder Block bestand aus einem Sektor A und Sektor B. Zwischen den beiden Sektoren befand sich die Toilette aus acht Pissioren und acht Kloschüsseln bestehend. Ein Block bot für mindestens 300 Menschen Platz.

Das Ende ließ niemanden kalt. Wir gingen in den Todesblock: Gaskammern, Krematorien; überall hingen Bilder und Gedenketafeln der Opfer. Ein dunkler Raum, vollgeschrieben mit leuchtend weißen Namen all jener, die im Konzentrationslager gestorben waren. Tausende und abertausende Namen von Menschen verschiedener Nationen regten schließlich alle zum Nachdenken, wenn nicht sogar zu Tränen, an.

Gänsehaut. Stille. Niemand traut sich mit dem anderen Augenkontakt aufzunehmen. Die Sprach- und Fassungslosigkeit breitet sich im Raum aus. Bevor wir in den Bus steigen, betrachten wir ein letztes Mal die Gedenkstätte und gehen die Todestreppe hinunter. Dieselbe Treppe, die von all jenen Häftlingen begangen wurde. Nur, dass es keine Verbecher waren. Es waren Menschen. Menschen wie wir. Im Bus legten wir die Gänsehaut ab und begannen wieder Witze zu reißen und herum zu albern. Als ob nichts passiert wäre. Nur, dass es nicht nichts war.

Gänsehaut…

Milica Sibarevic,
im Oktober 2017